„Es wird immer nur gefragt, was jemand nicht kann“, sagt Gerald Reißmann, Geschäftsführer der Sozialgruppe Kassel e.V.. Der gemeinnützige Verein ist Gesellschafter der Pro Dokument gGmbH, einem Unternehmen, das vornehmlich Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigt. Eine entscheidende Sache läuft hier anders. Reißmann: „Wir fragen, was jemand kann.“
Ist der Arbeitsplatz auf ihre Anforderungen ausgerichtet, haben Schwerbehinderte in Sachen Arbeitsleistung keinerlei Defizite gegenüber gesunden Kollegen. Warum sollte zum Beispiel ein Gehörloser schlechtere Ergebnisse bei der Bildbearbeitung erzielen? Was sollte eine Kleinwüchsige bei der Arbeit am Computer beeinträchtigen? Ist jemand ein weniger guter Informatiker, weil ihn zuweilen Schmerzattacken plagen? „Ganz im Gegenteil“, sagt Reißmann und Pro Dokument-Betriebsleiter Roland Müller stimmt zu: „Die Auszubildenden sind in der Regel weitaus motivierter.“
FEHLZEITEN EINKALKULIERT
42 Mitarbeiter hat die Pro Dokument und 21 davon sind mindestens zu 30 Prozent schwerbehindert. Das kann viele Gründe haben: Diabetis, Epilepsie, psychische Erkrankungen, geschwächtes Sehvermögen und so weiter. Nicht selten merkt man den Betroffenen ihre Schwerbehinderungen gar nicht an. Und Roland Müller sieht gegenüber anderen Mitarbeitern nur einen Unterschied: Die Fehlzeiten sind höher. Das ist aber ins Konzept der Pro Dokument gGmbH mit einkalkuliert.
ZUFRIEDENE KUNDEN
Das Unternehmen, das Firmenunterlagen und andere Dokumente digital archiviert, ist seit seiner Gründung 2002 stetig im Wachstum begriffen. Mitarbeiterzahl und Umsatz steigen, 60 mittelständische und größere Unternehmen gehören zum Kundenstamm. Ziel der Pro-Dokument- Geschäftsleitung ist aber nicht etwa Gewinnmaximierung, sondern Beschäftigung. Die Arbeit ist Mittel zum Zweck. „Firmen, die uns beauftragen, interessiert es nicht, warum wir das machen“, sagt Betriebsleiter Müller. Qualität, Zeit und Preis seien entscheidend – wie überall am Markt. „Unsere Kunden bescheinigen uns hervorragende Leistung und Terminsicherheit“, kann Müller zufrieden sagen.
PLATZSPAREND UND SICHER
Das Konzept: Pro Dokument scannt Papiere aller Art bis zu einem Format von A0 und stellt sie digital zur Verfügung. Diese werden nach den Anforderungen des Kunden verschlagwortet, um das Wiederfinden so leicht wie möglich zu machen. Große Aktenberge in platzraubenden Archivräumen werden überflüssig, die Daten sind weltweit und jederzeit per Internet einsehbar. Natürlich nur von ihren Eigentümern, die mit Sicherheitszertifikaten virtuellen Zugang über VPN-Tunnel erhalten. Mehr als 60 Unternehmen gehören bereits zum festen Kundenstamm – vom kleinen Handwerksbetrieb bis zur großen Versicherung. Und es werden mehr.
VERKAUFEN DAS WIEDERFINDEN
Dank der Indexierung lassen sich Informationen schnell zugänglich machen. Nicht selten findet verloren Geglaubtes wieder zusammen. „Wir verkaufen das Wiederfinden“, erklärt Müller. Während bei organischer Archivierung Fehlerquoten von sieben Prozent durchaus gängig seien, könne man beim digitalen Verfahren von Pro Dokument mit 0,3 Prozent aufwarten. Und das bei einer Scanleistung von 200 000 Seiten am Tag – Tendenz steigend. Über die digitale Archivierung hinaus umfasst das Dienstleistungsspektrum Datenpflege, Vervielfältigung und Aktenvernichtung.
AUSBILDUNGSBERUFE
Drei Ausbildungsberufe kann man bei der Pro Dokument erlernen: Kauffrau/- mann für Bürokommunikation, Bürokauffrau/-mann und Fachinformatiker/in für Systemintegration. Voraussetzung für die Bewerber: eine vom Versorgungsamt bescheinigte Schwerbehinderung.
BEWERBER SCHWER ZU FINDEN
Und obwohl allein in Hessen 15000 Schwerbehinderte arbeitslos gemeldet sind, hat es Pro Dokument nicht leicht, Stellen adäquat zu besetzen. „Es ist nicht einfach, Bewerber zu finden“, sagt Betriebsleiter Müller. Viele der Arbeitsvermittlungsstellen können nicht gezielt nach entsprechenden Leuten suchen. So ist sowohl auf Unternehmens- als auch auf Bewerberseite Initiative gefragt. Unterstützend vermitteln Partnerunternehmen.
KAUFFRAU FÜR BÜROKOMMUNNIKATION
So war es auch bei der kleinwüchsigen Jasmin Rampe. Seit September 2005 lernt die 21-Jährige den Beruf der Kauffrau für Bürokommunikation. Nach der Fachoberschule fand sie trotz guter Noten keinen Ausbildungsplatz, begann daraufhin Gesellschaftswissenschaften zu studieren. Währenddessen bewarb sie sich weiter. Nach rund 70 Bewerbungen bekam sie von der VW Coaching Gesellschaft den Tipp, sich an die Pro Dokument zu wenden. Gesagt, getan. Der Bewerbung folgte ein Vorstellungsgespräch bei Roland Müller und schließlich eine Zusage. Jasmin hat Freude an ihrem Ausbildungsberuf und genießt das Umfeld. Das Unternehmen biete ihr nicht nur einen abwechslungsreichen und interessanten Ausbildungsplatz, sondern vertrete mit seiner Personalpolitik einen sozialen Aspekt, der ihr besonders am Herzen liege. Und: „Jeder hat hier irgendwas“, sagt sie, „es gibt keine Berührungsängste.“ Jasmins Aufgabengebiet umfasst die Bürowirtschaft und -organisation. Das erste Sachgebiet, in dem sie eingesetzt war, betraf Planung und Umsetzung von Werbemitteln und -maßnahmen. Hier übernahm sie Vorgestaltung und Angebotsanfragen inklusive deren Auswertung zum Teil völlig eigenständig. Auch Sekretariatsaufgaben, wie die Bearbeitung eingehender Post, die Pflege von Personalunterlagen und das Schreiben von Protokollen, gehören zu ihremm Alltag.
FACHINFORMATIKER FÜR SYSTEMINTEGRATION
Zum Fachinformatiker für Systemintegration wird Isaac Eshun seit dem 1. September 2006 ausgebildet. Auch für ihn war es schwer, einen Ausbildungsplatz zu finden, denn der 20-Jährige leidet an Sichelzellenanämie, eine Krankheit, die regelmäßige Schmerzattacken mit sich bringt. Die Folge sind geringe Belastbarkeit und hohe Fehlzeiten. „Ich bin dankbar dafür, dass mir die Pro Dokument die Möglichkeit gibt, meine Fähigkeiten und mein Potenzial unter Beweis zu stellen“, sagt er. Isaak ist sicher, dass er hier eine gute Ausbildung erhält, die ihm Türen für sein weiteres Berufsleben öffnet. Zu seinen Aufgaben gehören Serverkontrolle und Netzwerkadministration sowie Bedienen und Installieren von Scanund anderer Software. Auch steht er Kollegen bei Anwendungsproblemen zur Verfügung.
BÜROKAUFFRAU
Bürokauffrau möchte Svenja Teiner werden und hochmotiviert geht die 17-Jährige ans Werk. Ihrem Realschulabschluss folgte ein Jahr Berufsfachschule. Wie bei Jasmin aus der Not heraus, weil sämtliche Bemühungen um einen Ausbildungsplatz scheiterten. Svenja ist durch ihren Tunnelblick in ihrer Sehfähigkeit eingeschränkt, was Arbeitgeber abzuschrecken schien. „Ich war bei vielen Einstellungstests und Vorstellungsgesprächen, aber es hat nie geklappt“, sagt sie. Ihre letzte Bewerbung ging an die Pro Dokument. Einem Vorstellungsgespräch schloss sich ein zweiwöchiges Praktikum an, das zur Zufriedenheit aller Beteiligten verlief. „Anschließend habe ich meinen Ausbildungsvertrag bekommen“, erzählt Svenja. Zu ihren Aufgaben gehört die Belegvorbereitung für den Scanprozess, die Indexierung der Dokumente am PC sowie Telefonieren. Auch mit der Einteilung von 400- Euro-Kräften und dem Verarbeiten der Zeitnachweise von Mitarbeitern ist sie betraut. Später möchte sie gerne übernommen werden und die Chancen stehen nicht schlecht.
ÜBERNAHME WAHRSCHEINLICH
„Uns ist daran gelegen, jeden unserer Auszubildenden zu übernehmen“, sagt Betriebsleiter Roland Müller. Natürlich komme es auch auf deren Arbeitsleistung und Übernahmewunschan. Grundsätzlich sei aber Weiterbeschäftigung das Ziel. Mit der Expansion der Pro Dokument wächst auch das Ausbildungsangebot.So könnte schon in diesem Jahr eine Fachkraft für Lagerwirtschaft ausgebildet werden. Auch arbeitet man daran, die Geschäftsfelder zu erweitern. Pro Clean heißt ein neuer Unternehmenszweig unter dem Dach der Pro Dokument, der Gebäudeund Außenflächen reinigt. Tatkräftige Unterstützung kommt von Menschen mit Behinderungen aus der Kasseler Werkstatt. Sie sollen über Pro Clean an den ersten Arbeitsmarkt herangeführt werden und zur gegebenen Zeit eine reguläre Ausbildung beginnen. ¦Link
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