Auslandserfahrung


Studieren in Polen

Nach den Stolpersteinen der Horizont

polen_web.jpgEinen Vorsprung hat, wer sieht, was kommen wird, wenn es noch kein anderer sieht. Einen Vorsprung hat, wer Europa denkt und Mittelosteuropa meint. Studieren in Polen zum Beispiel. Für junge Deutsche, die sich darauf eingelassen haben, wurde die vage Ahnung zur Verheißung. Sie berichten von Zungenbrechern und Studentenleben. Und ungesehenen Chancen.

Woher diese Vorliebe für Polen kommt, weiß Helene Wolf selbst nicht. „Mich interessiert das Nachbarland, das ist einfach so.“ Die 22-Jährige, in Ost-Berlin aufgewachsen, studiert Kulturwissenschaften mit Schwerpunkt Sozialwissenschaften und Geschichte – in Breslau.

ALTE ÄNGSTE
Am polnischen Namen Wroclaw braucht sich heute niemand mehr die Zunge zu brechen. Propaganda, Rechtsunsicherheit und Wunden der Vergangenheit hatten die deutsche Bezeichnung Breslau lange Jahre gleich gesetzt mit „revanchistischen Absichten“. Die Furcht vor deutschen Ansprüchen hat sich erst nach dem deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag in den 90er Jahren gelegt; das Verhältnis hat sich merklich entspannt. Breslau zu sagen ist genauso in Ordnung wie Wroclaw. Zwar muss Helene Wolf hier „fast immer über den II. Weltkrieg reden, als Deutsche“, aber weder damit noch mit Zungenbrechern hat sie Schwierigkeiten. In Polnisch kann sie sich gut verständigen – mittlerweile.

VERSTÄNDIGUNG AUF POLNISCH

Dass sie in den Seminaren einigermaßen zurecht kommt, hat sie einige Mühe gekostet. „Ich hab’ ziemlich doll was dafür tun müssen“, sagt sie. „Im Vorbeigehen kann man Polnisch nicht lernen.“ Den sprachlichen Grundstein gelegt haben vier Semester an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Drei Stunden Polnisch die Woche. Und trotzdem: Als die 22-Jährige das Auslandssemester in Wroclaw einlegte, „habe ich erst nichts verstanden.“ Wer wie Helene Wolf über das Erasmus-Programm unterstützt wird, kann an der Uni Wroclaw neben den Vorlesungen weiterhin Polnisch lernen.

VIELE KURSE IN ENGLISCH
Viele Kurse an der Breslauer Universität werden in Englisch gehalten. Darum: „Schaffen kann man es auch ohne Polnisch-Kenntnisse“, sagt Helene Wolf. „Aber man bleibt unter sich und hat zu den polnischen Studenten und den Einheimischen nur wenig Kontakt.“

In Polnisch weit weniger geübt als Helene Wolf ging die Dresdner Studentin Denise Lehmann für zwei Semester nach Sopot an die Universität Danzig. Die Absolventin des Studiengangs International Business Studies mit Schwerpunkt „Management in Osteuropa“ und „Internationales Marketing“ verließ sich ganz auf englischsprachige Seminare. Sind diese zwischen der Hochschule für Technik und Wirtschaft (FH) Dresden und der Universität Danzig doch vertraglich festgeschrieben. Die Erfahrung war enttäuschend: uneinheitliches Niveau, mangelnde Team- und Projektarbeit auf internationaler Ebene, zu wenig Berührungspunkte mit polnischen Studierenden. Ähnlich urteilten drei Kommilitoninnen, die zur gleichen Zeit wie Denise Lehmann nach Sopot gegangen waren.

POLNISCHER SPRACHUNTERRICHT
Ein wahres Hohelied singt die Dresdnerin hingegen auf den polnischen Sprachunterricht und die individuelle Betreuung der ausländischen Studierenden: „Erstklassig“, bescheinigt sie. „Ausgezeichnet gefördert“ konnte sie in Sopot auf ihre Polnisch-Grundkenntnisse aufbauen. Die Go-east-Stipendiatin war heilfroh, dass sie sich schon in Deutschland vorbereitet hatte: „Obwohl der Sprachkurs dort nur drei Monate lief, war er sehr hilfreich. Denn im Alltagsleben werden kaum Fremdsprachen gesprochen.“

GO-EAST-PROGRAMM
Über das Go-east-Progamm des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD) kamen auch Kai Hanneken, Markus Herz, Nadine Schöllhuber und Johannes Spranger von der Fachhochschule Gelsenkirchen nach Polen. Ein Semester in Krakau sollte es sein. Und eine Woche Polnisch sollte als Grundstock erst einmal reichen. Immerhin ließ sich der Lehrstoff auf Englisch aneignen. Mit dem Kontakt zu den polnischen Kommilitonen klappte es auch; viele sprachen Englisch, zum Teil sogar ausgezeichnet Deutsch. Und: „Die polnischen Studenten sind sehr kontaktfreudig und helfen, wo sie können.“ Nicht minder übrigens die Tutoren, die jedem ausländischen Studierenden zur Seite stehen. Für sie gab es von den Gelsenkirchener die allerbesten Noten. Und noch was fand die Viererbande klasse: „Wer feiern will, ist in Krakau genau richtig!“ Der Nebeneffekt: Das anfangs holprige Schulenglisch geht bald leicht von den Lippen. Sogar mit dem Polnisch geht’s voran: „Am Anfang reicht es gerade, um Hallo und Tschüss zu sagen. Nach einem Monat kann man schon einkaufen und zum Friseur gehen.“ Das Studium selbst überraschte positiv. Anders als an deutschen Universitäten werden aktive Mitarbeit und Hausaufgaben benotet. Und Anwesenheit wird registriert. Wer also „ordentlich studiert“, kann selbst schlechte Examenszensuren noch ausgleichen.

Unterschiede in der Art des Studierens hat auch Helene Wolf in Breslau ausgemacht. Dass junge Menschen in Polen „sehr ehrgeizig“ bei der Sache sind, liegt ihrer Meinung nicht allein am Benotungssystem. „Bildung ist hier ein Wert an sich. Und der Studentenstatus ist etwas Besonderes; ihm muss man sich würdig erweisen.“

ES LÄSST SICH BILLIG LEBEN

Leben lässt sich in polnischen Universitätsstädten vergleichsweise billig. Das Studium selbst ist für Polen und Studierende aus EU-Ländern kos-tenlos – zumindest an staatlichen Hochschulen. Nur für Abend- und Wochenendstudiengänge werden Gebühren verlangt.

Helene Wolf wohnt mit zwei polnischen Kommilitoninnen in einer WG – eine in Polen relativ neue Wohnform. Für 100 Euro im Monat leistet sie sich ein eigenes Zimmer. Das ist selten; die meisten teilen sich einen Raum – auch im Wohnheim. Wer aus dem Studienort stammt, bleibt weiterhin bei den Eltern. „Das ist nichts Verwerfliches; hier ist das ganz normal, weil man ein eigenes Zimmer nicht bezahlen kann“, erklärt Helene Wolf.

Frisches Obst und Gemüse sind an kleinen Marktständen sehr günstig; ebenso preiswert bekommt man Lebensmittel in den großen Supermärkten aus Deutschland, Frankreich und England. Und schließlich: Kaum aufs Geld schauen muss, wer gern ausgeht – ob in die Disco, ins Kino, in Museen, Sportanlagen oder Studentenkneipen. Ein Bier kostet 5 Zloty, etwa 1,20 Euro.

Bei der Entscheidung „Studium in Polen – ja oder nein“ spielt Geld sicher eine Rolle – allerdings eine untergeordnete, schätzt Denise Lehmann. Für die Länder Mittelosteuropas werden Stipendien in voller Höhe bewilligt. „Ist das Interesse an Polen aber nicht da, hilft auch dieser Bonus nicht“, sagt die Dresdnerin.

PARTNERHOCHSCHULEN-PROGRAMM
Ein Punkt ist das Partnerhochschulenprogramm der eigenen Hochschule. „Kann man auf ein solches zurückgreifen, macht dies in der Organisation und Vorortbetreuung einiges leichter“, weiß Denise Lehmann aus Erfahrung.

Ein Auslandssemester in Polen verspricht sicher kein Lotterleben. Als Ausgleich für konzentriertes Lernen lässt es aber reichlich Platz für Spaß und Abenteuer. ¦

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