In den vergangenen Wochen und Monaten sorgten drei Kündigungsverfahren wiederholt für Schlagzeilen. In dem einen Verfahren war eine langjährige Mitarbeiterin in einem Supermarkt wegen Unterschlagung von zwei Pfandbons im Gesamtwert von 1,30 Euro fristlos gekündigt worden, in einem anderen eine Sekretärin wegen dem unerlaubten Verzehr von einer Bulette und einem Brötchen und in einem weiteren eine Altenpflegerin wegen des Diebstahls von Maultaschen. In der öffentlichen Meinung wurden diese Kündigungen sofort als ungerecht und unverhältnismäßig bezeichnet, sie seien aufgrund von Lappalien erfolgt. Der Verfasser vertritt die unpopuläre Meinung, dass Kündigungen auch aufgrund vermeintlicher Lappalien gerechtfertigt sein können. Inwieweit sich diese Rechtsprechung auch auf Ausbildungsverhältnisse auswirkt, soll im Folgenden erläutert werden.
Die aktuellen Entscheidungen
Im so genannten „Emily-Fall“ wurde eine Arbeitnehmerin wegen der angeblichen Unterschlagung von 1,30 Euro fristlos gekündigt. Die betroffene Kassiererin eines Supermarktes war seit vielen Jahren dort beschäftigt und soll zwei Pfandbons unterschlagen und eingelöst haben. Für den Verdacht sprachen einige Indizien, unter anderem, dass die Mitarbeiterin sich unkooperativ gezeigt hatte. Aufklären ließ sich der Vorfall jedoch nicht. Das Arbeitsgericht Berlin urteilte, dass die Kündigung wirksam sei und dieses Urteil wurde in zweiter Instanz auch durch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg bestätigt. Mittlerweile liegt der Fall dem Bundesarbeitsgericht zur Entscheidung vor. Die bisherigen Entscheidungen haben in der Öffentlichkeit ein überwiegend negatives Echo gehabt. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse bezeichnete die Rechtfertigung der Kündigung durch die Gerichte als „asozial“ und „barbarisch“.
In einem anderen Fall war eine Arbeitnehmerin, die seit 34 Jahren als Sekretärin beschäftigt war, ebenfalls fristlos gekündigt worden, weil sie unerlaubt zwei Brötchen und eine Bulette vom Buffet für Sachverständige gegessen hatte. Schließlich wurde im Oktober 2009 durch das Arbeitsgericht Radolfzell eine Kündigung wegen des Diebstahls von sechs Maultaschen aus der Kantine für rechtens erklärt. Gekündigt wurde eine Mitarbeiterin eines Altenheimes, die sich entgegen ausdrücklichen Weisungen in der Kantine bedient hatte. Die Angelegenheit liegt zwischenzeitlich auch dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vor, nachdem die erstinstanzliche Entscheidung ebenfalls heftige Reaktionen hervorgerufen hatte. Die Gewerkschaft Verdi bezeichnete die Kündigung gar als „menschenverachtend“. Alle drei Fälle riefen heftige Reaktionen hervor, in denen sich Politik und Medien überwiegend mit den Arbeitnehmern solidarisierten.
Der Vetrauensgrundsatz
Auch wenn die genannten Kündigungen von der Öffentlichkeit meist als ungerecht oder gar „asozial“ empfunden werden, so muss doch Folgendes klar sein: Ein Arbeitnehmer ist durch den Arbeitsvertrag grundsätzlich verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Aus diesem Grundsatz folgt auch das Verbot der vorsätzlichen Schädigung des Arbeitgebers. Die vorsätzliche Verletzung von Eigentum des Arbeitgebers stellt daher unabhängig vom Wert immer einen erheblichen Vertrauensbruch dar. In den oben genannten Fällen ist dies zumindest im Fall „Emily“ und im Fall der gekündigten Altenpflegerin offensichtlich. Die Supermarktkassiererin betreut und verwaltet einen Teil der Einnahmen und somit auch des Eigentums des Arbeitgebers. Es ist also eine ihrer Hauptaufgaben, mit Vermögenswerten vertrauensvoll und gewissenhaft umzugehen. Auch die Unterschlagung geringer Werte ist deshalb ein schwerwiegender Vertrauensbruch. Die Höhe des Schadens darf hierbei keine Rolle spielen. Eine Unterschlagung bleibt eine Unterschlagung, ein Diebstahl bleibt ein Diebstahl.
Erstmals höchstrichterlich entschieden wurde dies in dem so genannten „Bienenstich-Fall“ Anfang der Achtziger Jahre. Damals hatte eine Angestellte in einer Bäckerei während ihrer Arbeitszeit ein Stück Bienenstich ohne Bezahlung verspeist. Das Bundesarbeitsgericht stellte 1984 fest, dass auch die Entwendung von im Eigentum des Arbeitgebers stehenden geringwertigen Sachen an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Es käme jedoch immer auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an, ob ein solches Verhalten die fristlose Kündigung rechtfertigt. Bezug genommen wurde auf die gefestigte Rechtsprechung des Gerich-tes seit 1958. Die Problematik ist also keinesfalls neu. Im Fall der Altenpflegerin ist die Situation noch eindeutiger, denn sie hat gegen eine ausdrückliche Anweisung des Arbeitgebers gehandelt. Wenn gegen diese ausdrückliche Anweisung verstoßen wird, dann muss auch mit den Konsequenzen gerechnet werden. Dem Anschein der vermeintlichen Ungerechtigkeit lässt sich schon dadurch entgegnen, dass sie einfach den Arbeitgeber um Erlaubnis hätte fragen können. Gleiches gilt für den „Buletten-Fall“.
Die Verdachtskündigung
Kündigungen des Arbeitsverhältnisses sind auch aufgrund des reinen Verdachts der Begehung von Straftaten zu Lasten des Arbeitgebers möglich. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber im Kündigungsverfahren lediglich den begründeten Verdacht einer Straftat nachweisen muss, die tatsächliche Begehung aber nicht abschließend beweisen muss. In den oben genannten Entscheidungen trifft dies vor allem auf den „Emily-Fall“ zu. Denn die der Kassiererin vorgeworfene Unterschlagung war nur aufgrund zahlreicher Indizien wahrscheinlich, nicht jedoch definitiv nachgewiesen. Doch auch ein schwerwiegender und wahrscheinlicher Verdacht kann das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer derart erschüttern, dass eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich ist. Dennoch ist der jeweilige Einzelfall genau zu prüfen. Bei einem als gering anzusehenden Vertrauensbruch ist eine Abmahnung des Arbeitnehmers als milderes Mittel grundsätzlich ausreichend.
Auswirkungen auf das Auszubildendenverhältnis
Azubis sind keine Arbeitnehmer. Mittelpunkt des Ausbildungsverhältnisses ist nicht das gegenseitige Erbringen von Leistungen, sondern das Erlernen eines Berufes, das in einer Abschluss-prüfung nachgewiesen werden muss. Maßgebliches Recht ist das Berufsbildungsrecht, das vor allem im BBiG (Berufsbildungsgesetz) geregelt ist, und nicht das Arbeitsrecht. Eine ordentliche Kündigung des Ausbildungsverhältnisses ist gesetzlich nicht vorgesehen und daher auch nicht möglich. Deshalb sind auch die oben zitierten Entscheidungen nicht ohne Weiteres übertragbar. Die Grundsätze sind es dennoch. Denn so, wie es dem Arbeitnehmer untersagt ist, das ihm entgegengebrachte Vertrauen des Arbeitgebers zu missbrauchen, muss dies auch für den Azubi gelten; schließlich ist er der zukünftige Arbeitnehmer.
Allerdings muss im Ausbildungsverhältnis berücksichtigt werden, dass das Verhalten des Arbeitnehmers ja eben erst erlernt wird. Deshalb können und dürfen die Konsequenzen einmaliger Verfehlungen nicht so weitreichend sein, wie im Arbeitsverhältnis. Vor einer fristlosen Kündigung des Ausbildungsverhältnisses aus Gründen, wie den oben genannten, muss daher der Auszubildende erst abgemahnt werden. Diese Abmahnung muss eindeutig klarstellen, dass bei einer erneuten vergleichbaren Pflichtverletzung die fristlose Kündigung droht. Falls dann trotzdem erneut Treuepflichten in erheblichem Maße verletzt werden, kann auch eine Kündigung des Ausbildungsverhältnisses erfolgen. Bei massiven Pflichtverletzungen, also beispielsweise dem einmaligen Unterschlagen hochwertiger Werkzeuge oder Ähnlichem, ist eine fristlose Kündigung des Ausbildungsverhältnisses ohne weiteres möglich, da das Vertrauen des Ausbilders unwiderruflich massiv missbraucht wurde.
Rechtstipps
Die Kündigung eines Ausbildungsverhältnisses ist nur aufgrund schwerwiegender oder wiederholter Pflichtverletzungen möglich. Kündigungsgründe, die in einem Arbeitsverhältnis greifen, sind im Ausbildungsverhältnis daher nicht ohne weiteres übertragbar. Verletzt ein Auszubildender aber seine Pflichten wiederholt in erheblichem Maße, so ist das Ausbildungsverhältnis grundsätzlich fristlos kündbar. Vermeintliche Lappalien, wie das Entwenden geringfügiger Sachen, sind hierfür ausreichend. Allerdings ist in diesem Falle eine Abmahnung notwendig. In jedem Fall sollte man, bevor man das Eigentum oder Vermögen des Arbeitgebers beeinträchtigen könnte, nach Erlaubnis fragen. So lassen sich gefährliche Missverständnisse leicht verhindern.
Gregor N. Flachowsky
Rechtsanwalt
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