Die Situation kennt jeder, der am Anfang des Berufslebens steht: man hat sich beworben und der erste Schritt ist geschafft, man wurde zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Also stellt man sich vor, präsentiert sich von seiner besten Seite, allerdings nicht, ohne vorher mehr oder weniger Kilometer zum Ort des Interviews zurückgelegt zu haben.
Hier stellt sich nun natürlich zwangsläufig die Frage, wer die Kosten dieser Reise zu tragen hat. Handelt es sich nur um eine kurze Anfahrt – ein paar Straßenbahnhaltestellen oder einige Kilometer mit dem Auto – werden die wenigsten Bewerber sich auch nur Gedanken über die Kosten machen. Ganz anders sieht es dann aus, wenn hunderte von Kilometern zu überbrücken sind und eine Übernachtung notwendig wird.
Vorstellungsgespräch ist nicht gleich Vorstellungsgespräch
Zunächst muss danach unterschieden werden, ob es sich um ein Vorstellungsgespräch handelt, dass auf ausdrückliche Einladung des potenziellen Arbeitgebers zustande kommt – was die Regel ist – oder, ob die Initiative vom Bewerber ausgeht, der persönlich bei einem ins Auge gefassten Unternehmen vorstellig wird, allerdings ohne Einladung.
Dass im letzteren Fall kein Anspruch auf Kostenerstattung besteht, ergibt sich von selbst. Wer würde einem Bewerber, der unaufgefordert und möglicherweise sogar unwillkommen vorstellig wird, die Kosten für seinen Besuch erstatten?
Anders sieht es aus, wenn der Bewerber auf Einladung des potenziellen Arbeitgebers zu einem Vorstellungsgespräch anreist, und zwar unabhängig davon, ob die Bewerbung auf einer Stellenausschreibung oder eigener Initiative beruht.
Eine Einladung zum Vorstellungsgespräch ist rechtlich gesehen ein Auftrag
Rechtlich gesehen stellt die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch einen Auftrag (§§ 662ff. BGB) dar: Der an einem Bewerber interessierte Arbeitgeber beauftragt diesen, ihn aufzusuchen, um sich ein besseres Bild von dem Bewerber machen zu können. Damit tritt die im Auftragsrecht vorgesehene Rechtsfolge ein, d.h. der Arbeitgeber hat als Auftraggeber dem Bewerber (= Auftragnehmer) die durch die Beauftragung entstehenden Kosten zu erstatten, und zwar unabhängig davon, wie das Gespräch ausgeht (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. BAG, Urteil vom 29.06.1988, Az: 5 AZR 433/87). Diese Rechtsfolge kann der Arbeitgeber jedoch vermeiden, indem er – bereits in der Stellenanzeige, spätestens jedoch in der Einladung zum Vorstellungsgespräch – darauf hinweist, dass er die dem Bewerber entstehenden Kosten für das Vorstellungsgespräch nicht übernimmt (ArbG Kempten, Urteil vom 12.04.1994, Az: 4 Ca 720/94). Insbesondere bei behördlichen Stellenausschreibungen findet sich oft ein entsprechender Passus in der Stellenanzeige. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Bewerber nicht von anderer Seite die Kosten erstattet bekäme.
Kostenübernahme durch die Arbeitsagentur
Das SGB III sieht in § 45 die Möglichkeit einer subsidiären Kostenübernahme der für ein Vorstellungsgespräch entstandenen Aufwendungen durch die Agentur für Arbeit vor. Diese Vorschrift hat den Hintergrund, dass auch die Arbeitsverwaltung ein Interesse daran hat, dass ein Bewerber eine Arbeitsstelle findet und nicht nur deswegen von einem Vorstellungsgespräch Abstand nimmt, weil er sich die damit verbundenen Kosten nicht leisten kann oder will.
Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die Leistung vor dem Entstehen der Kosten – also dem Vorstellungsgespräch – beantragt werden muss (§ 324 SGB III). Ob die Kosten tatsächlich übernommen werden, liegt im Ermessen der Agentur für Arbeit.
Erforderliche Kosten
Neben der grundsätzlichen Frage, wer die Kosten trägt, stellt sich natürlich auch die Frage, welche Kosten im Einzelnen zu tragen sind. Die Angemessenheit der Kosten lässt sich nur unter Berücksichtigung des konkreten Falls beurteilen. Hierbei spielen insbesondere die Erreichbarkeit des für das Vorstellungsgespräch vorgesehenen Ortes sowie die Zeit eine Rolle: Handelt es sich bei dem potentiellen Arbeitgeber um ein Unternehmen, das in einem Industrie- oder Gewerbegebiet „auf der grünen Wiese“ residiert, müssen naturgemäß andere Maßstäbe gelten als bei einem Unternehmen, dass im Innenstadtbereich liegt und bequem mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist.
Durch die Rechtsprechung ist seit langem anerkannt, dass der Bewerber in der Regel das preisgünstigste Verkehrsmittel zu benutzen hat. Eine Anreise mit der Deutschen Bahn in der 2. Klasse ist grundsätzlich als angemessen anzusehen (LAG München, Urteil vom 30.05.1985, Az: 9 Sa 986/84). Für die ab dem Bahnhof zurückzulegende Distanz kommt es – wie so oft – auf den Einzelfall an: Besteht eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, hat der potentielle Arbeitgeber vielleicht sogar bei einer Anfahrtsskizze darauf hingewiesen, mit welchen Bussen das Unternehmen am besten zu erreichen ist? Oder handelt es sich um ein Unternehmen, das mit öffentlichen Verkehrsmitteln so gut wie nicht oder nur unter Inkaufnahme kilometerlanger Fußmärsche zu erreichen ist? In letzterem Fall muss es sicherlich als angemessen beurteilt werden, wenn sich der Bewerber am Bahnhof ein Taxi für den weiteren Weg nimmt.
Besondere Vorsicht ist bei der Anreise mit dem Flugzeug geboten: Nach bisheriger Rechtsprechung ist eine solche nur dann zu erstatten, wenn dies ausdrücklich zugesagt war (ArbG Hamburg, Urteil vom 02.11.1994, Az: 13 Ca 24/94). Ob diese Rechtsprechung in Anbetracht der heutigen Preise – bei denen ein Flug zumindest bei größeren Distanzen oftmals erheblich billiger ist als eine Bahnfahrt – weiter so aufrecht erhalten wird, darf bezweifelt werden. In jedem Fall ist der Bewerber jedoch gut beraten, die Möglichkeit einer Anreise mit dem Flugzeug vor dem Vorstellungsgespräch abzuklären.
Anreise mit dem Auto
Wer ein Auto hat, muss sich natürlich nicht auf das Abenteuer einer Bahnfahrt verweisen lassen. Vorsicht ist hier lediglich geboten, wenn die Kosten im Vergleich zu öffentlichen Verkehrsmitteln deutlich höher sind, beispielsweise eine lange innerstädtische Fahrt im Vergleich zu einem günstigen Nahverkehrsticket.
Der vom potenziellen Arbeitgeber zu erstattende Betrag bestimmt sich bei einer Anreise mit dem eigenen Auto nach den steuerlichen Sätzen, die für die Benutzung eines privaten Kfz bei Dienstreisen gelten, derzeit 0,30 € pro km (LAG Nürnberg, Urteil vom 25.07.1995, Az: 2 Sa 73/94).
Übernachtung und Verpflegung auf Kosten des potenziellen Arbeitgebers?
Bei weiter Anreise kann auch eine Hotelübernachtung – inklusive der notwendigen Verpflegung – als erforderlich angesehen werden, wenn der Zeitpunkt des Vorstellungsgesprächs eine vorherige Anreise nicht zulässt (BAG, Urteil vom 14.02.1977, Az: 5 AZR 171/79).
Hierbei müssen jedoch alle in Frage kommenden Verkehrsmittel berücksichtigt werden: Ein Vorstellungsgespräch um 9 Uhr in Hamburg ist für einen in München wohnenden Bewerber mit dem Auto sicherlich nicht in zumutbarer Weise ohne eine Übernachtung in Hamburg zu erreichen. Mit einer guten ICE-Verbindung oder einem Flug ist es unter Umständen jedoch möglich, auf die Übernachtung zu verzichten. In diesem Fall ist dem Bewerber anzuraten, die von den Gesamtkosten günstigste Variante zu wählen, da sich die Angemessenheit nicht nur nach dem Verkehrsmittel bemisst, sondern nach den entstehenden Gesamtkosten.
Taktische Erwägungen zum Schluss
Die schwierigste Frage dieses Themenkomplexes ist jedoch nicht rechtlicher, sondern taktischer Natur und kann dementsprechend nur im Einzelfall vom Bewerber selbst entschieden werden: Soll man seinen bestehenden Anspruch tatsächlich geltend machen, oder verzichtet man?
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Martin L. Flachowsky
Rechtsanwalt
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