In Berlins Regierungsviertel ist immer was los. Kein Tag vergeht, an dem es nichts zu berichten gibt. Vieles ereignet sich regelmäßig und planbar, von besonders großer Bedeutung ist aber oft genau das, was keiner vorhergesehen hat. Der Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg als Verteidigungsminister zum Beispiel oder das große Beben in Japan, zu dem sich Kanzlerin, Außen- und Umweltminister in vielfältiger Weise äußerten. Auf Ballhöhe bleiben heißt es da für die rund 200 Medienprofis des ARD-Hauptstadtstudios. Egal, welche politischen Entscheidungen getroffen werden, welche Ämter neu besetzt oder welcher Skandal aufgedeckt – an sieben Tagen in der Woche, 365 Tage im Jahr, wollen die Nachrichtensendungen des Ersten Fernsehprogramms und der Dritten Programme sowie von 57 Radiowellen mit den neuesten Meldungen versorgt werden. Damit das funktioniert, arbeiten hier Medienexperten aus allen Bereichen zusammen: Cutter, Kameraleute, Korrespondenten, Aufnahmeleiter und viele mehr.
Brücken verbinden die balkonartigen Rundwege auf den verschiedenen Ebenen der fünfgeschossigen Redaktionshalle. Licht fällt durch das Glasdach ins Innere und bricht sich in den Scheiben der Brüstungen. Tür an Tür reihen sich Büros aneinander. Wo rote Lämpchen leuchten, wird produziert: in der ersten und zweiten Etage Hörfunk, in der dritten und vierten Fernsehen. Viele der Bürotüren stehen offen und geben den Blick auf hochkonzentriert arbeitende Menschen frei. Die Wilhelmstraße 67a, einst Standort des Physikalischen Instituts der Universität, zu DDR-Zeiten mauernahes Sperrgebiet, danach Parkplatz, ist seit 1999 Sitz des ARD-Hauptstadtstudios (HSB). Das Gebäude birgt unter anderem zwei Fernseh- und vier Hörfunkstudios sowie sechs Schnitt- und 49 digitale Audioarbeitsplätze in sich.
Über die Landesanstalten
Die Journalisten, die im Hauptstadtstudio arbeiten, sind Beschäftigte der neun Landesrundfunkanstalten der ARD. Für maximal sieben Jahre werden sie nach Berlin entsandt, um über wichtige bundespolitische Ereignisse und Entwicklungen zu berichten. Journalisten der Gemeinschaftsredaktion Fernsehen liefern tagesaktuelle Beiträge für die Tagesschau, Tagesthemen und das Nachtmagazin sowie im wöchentlichen Wechsel mit dem ZDF auch für das Mittagsmagazin. Der Bericht aus Berlin, ARD-Brennpunkte, Angebote des Senders Phoenix und Beiträge für die Dritten Programme werden hier ebenfalls produziert.
Ein Berufsziel für viele
Ausgebildet wird im ARD-Hauptstadtstudio nicht. Die Korrespondenten, die hier tätig sind, haben ihr Handwerk an Journalistenschulen, im Journalistikstudium oder während eines Volontariats gelernt. Einige sind Juristen, Betriebswirte oder Politikwissenschaftler, die nach ihrem jeweiligen Studium den Weg in die Medienwelt eingeschlagen haben. Sie alle mussten bereits in den Landesrundfunkanstalten ihr Können unter Beweis stellen. Das sei der übliche Weg, um Korrespondent auf Landes- oder Bundesebene oder sogar im Ausland zu werden, erklärt Maik Wittenbecher, Redakteur in der Kommunikation des Hauptstadtstudios. „Hauptstadtkorrespondent ist ein Berufsziel für viele“, sagt er und bringt das unter anderem mit dem „hohen Output an Berichterstattungsmaterial“ in Verbindung.
Digital Native
Noch junges Mitglied der HSB-Mannschaft ist Oliver Neuroth. Der 28-Jährige besetzt einen Posten, den es in dieser Form zuvor noch nicht gab: Er arbeitet als Digital Native. Im November 2010 hat er, der eigentlich aus dem Hörfunk kommt, seinen Dienst als „DNA-Reporter“ aufgenommen. Jungen Leuten von 14 bis 29 politische Themen zu vermitteln, ist seine Mission. „Das wird immer schwieriger“, weiß er zu berichten und führt das unter anderem auf ein völlig anderes Mediennutzungsverhalten seiner Zielgruppe zurück.
Hörfunk und Internet kombiniert
Zwei „Ausspielwege“ hat Oliver für seine Nachrichten: Radio (SWR3 und DASDING) und Internet (SWR-Portale und „news for natives“). Über seinen PC hat er Zugriff auf alle Hörfunkbeiträge des Hauses und kann diese auf seiner Audio-Workstation sowohl schneiden als auch kommentieren – und natürlich erstellt er auch eigene. Für das Internet liefert Oliver Videos von Interviews und Umfragen, die er mit seinem iPhone für die spätere Veröffentlichung aufnimmt.
Zu seiner Berufswahl inspiriert wurde der Sohn eines WDR-Fernsehjournalisten zunächst nicht durch seinen Vater. „Als Kind habe ich immer gesehen, wie viel er arbeiten musste und hatte mir gesagt, dass ich das nie machen will“, erzählt Oliver. Von einem Schulfreund sei er dann „infiziert“ und für die Mitarbeit beim offenen Kanal begeistert worden. Auch für die Schülerzeitung war er aktiv. Nach der Schule studierte er Germanistik und Geschichte und absolvierte anschließend ein Volontariat beim NRW-Lokalfunk. Von 2005 an arbeitete er fünf Jahre als Chef vom Dienst beim SWR-Jugendsender DASDING und später etwa ein Jahr in der Nachrichtenredaktion des SWR Baden-Baden. Seit November 2010 ist er im ARD-Hauptstadtstudio beschäftigt.
Freakige Dinge hat er genauso gemacht wie seriöse und das genau ist es wohl, was ihm in seiner heutigen Position zum Vorteil gereicht. Er hat den Ehrgeiz, seine jungen Mediennutzer zielgruppengerecht zu informieren und dabei authentisch zu sein. „Keine Kindernachrichten“, sagt er.
Fernsehkameramann
Stephan Braun ist Fernsehkameramann und seit 1999 für die ARD tätig – zuerst als freier Mitarbeiter, seit fünf Jahren in Festanstellung. Als lichtsetzender Kameramann sorgt er dafür, dass Motive für die großen Studiokameras richtig beleuchtet werden. Aber er filmt natürlich auch, ist dann mit mobilen Kameras unterwegs.
Zum HSB kam er auf nicht planbaren Wegen. 1988 hatte er angefangen, an der Hochschule der Künste zu studieren: Kommunikationswissenschaften mit Schwerpunkt audiovisuelle Kommunikation. Zuvor hatte er bei einer Filmproduktion in den USA assistiert. 1989 begann er einen Ferienjob bei der Nachrichtenagentur Visnews, heute Reuters Television. „Ich konnte gut Englisch, kannte die Stadt und wurde schnell zum Mädchen für alles: Kaffee kochen, Leute kutschieren und ab und zu auch mal mit dem Mikro mitgehen“, erinnert sich Stephan. „Visnews baute damals gerade ein Büro in Berlin auf und sie fragten mich, ob ich nicht fest mitmachen wollte.“ Damals war er gerade mit dem Grundstudium fertig – und hat angenommen.
Keinen klassischen Werdegang
Bei Visnews lernte Stephan das Schneiden des Materials und sammelte jede Menge praktische Erfahrung an der Kamera. „Während man Filmkameramann richtig studieren kann, gibt es für Fernsehkameraleute keinen klassischen Werdegang“, sagt er. Eine gute Grundlage sei zum Beispiel die Ausbildung zum Mediengestalter Bild und Ton, wobei es entscheidend sei, in welchem Betrieb man diese Ausbildung durchlaufe. „Interesse an Medien, Film, Fernsehen und Nachrichten und ein hohes Maß an Flexibilität“, ist Stephans Antwort auf die Frage, was man für seinen Beruf mitbringen muss. Dazu natürlich noch die nötige Menge technisches und künstlerisches Grundverständnis. Und Englisch.
Szene immer schon im Kopf
Als er 99 als freier Kameramann und Cutter anfing für die ARD zu arbeiten, war er viel auf Auslandsreisen unterwegs. Vor fünf Jahren dann wurde die feste Stelle im Hauptstadtstudio ausgeschrieben und Stephan bewarb sich sofort. „Diese Stellen sind sehr rar“, sagt er. Was ihm an seinem Beruf besonders gut gefällt: „Täglich neue Situationen, die man einfangen kann und die man sonst so nicht beobachten würde. Den richtigen Moment abzupassen ist eine große Herausforderung, denn in unserem Bereich gibt es nie eine zweite Chance. Man muss die Szene immer schon im Kopf haben, bevor sie passiert. Wenn man gut ist, stumpft man nicht ab und lässt sich auch bei wiederkehrenden Ereignissen immer wieder neue Perspektiven einfallen.“
Cutterin
Eine alte Häsin im Geschäft ist Cutterin Juliane Gemmecke. „Man muss lernen, Bild und Ton einzeln zu betrachten“, erklärt sie. Als DDR-Kind hat sie noch Filmschnittmeisterin studiert.
Rhythmus entscheidend
Das Material, das von den Kameraleuten für die Fernsehbeiträge geliefert wird, wertet sie aus und schneidet es passend zum Beitragstext des Korrespondenten zusammen. Wie auch Stephan weiß sie bereits was sie machen will, bevor sie richtig anfängt: „Man schneidet im Kopf, muss ganz genau wissen, was man mit dem Material machen will.“ Wichtig sei auch der Schnittrhythmus: „Wenn ein Schnitt nicht lange genug steht oder zu kurz, hat das große Auswirkungen.“ Schnittfehler sehe man besonders gut, wenn man sich die Beiträge ohne Ton ansehe. „Es gibt für alles eine Regel, man braucht aber auch viel Intuition“, sagt sie. Gemeinsam mit dem Korrespondenten Oliver Mayer-Rüth, der erst drei Tage zuvor aus Israel zurückgekehrt ist, sitzt Juliane Gemmecke an einem der sechs Schnittplätze und bereitet einen Beitrag für das Mittagsmagazin vor. Die Zeit ist knapp, die Sendung beginnt in einer halben Stunde. Vorbereitung ist da alles. „Ich bereite im Vorfeld verschiedene Passagen vor, die wir im Archiv haben. Wenn das neue Material da ist, werte ich es aus und setze es dazwischen. Das spart am Ende viel Zeit“, erklärt sie. Die Beiträge, die hier entstehen, sind das Ergebnis eines Teamspiels: „Man muss sich nicht nur auf das Material einfühlen, sondern auch auf den Redakteur“, sagt Juliane Gemmecke. Viele der Korrespondenten fragen während des Schnitts nach ihrem Urteil. Der Grund liegt auf der Hand: „Ich bin der erste Zuschauer. Da fällt einem schon hier und da mal was auf.“
Volontärin
Korrespondentin zu werden, ist eine mögliche Option für Volontärin Theresa Hübner. Die Arbeit vor der Kamera kann sie sich genauso gut vorstellen, wie hinter den Kulissen in der Redaktion. „Am liebsten für ein investigatives Format“, sagt die 27-Jährige. Ihr Werdegang liest sich ziemlich umfangreich: Schon während ihrer Schulzeit in Cottbus schrieb sie für die Lausitzer Rundschau. Nach dem Abi ging sie für ein Jahr nach Dublin und schrieb von dort „Theresas Tagebuch“, eine kleine Kolumne für die Lokalausgabe zuhause. In Berlin studierte sie Geschichte und Anglistik und sammelte erste Erfahrung als Redaktionsassistentin beim RBB in Potsdam. „Da ist die Idee entstanden, Fernsehen machen zu wollen“, sagt sie. Weitere Stationen Theresas waren Xen.on, der Internetfernsehsender für Studenten, und die vom RBB getragene Electronic Media School (EMS) in Babelsberg. Schließlich bewarb sie sich bei verschiedenen Fernsehsendern um ein Volontariat und überzeugte den WDR mit einer Probereportage zum Thema „Arbeiten bei Nacht“, für die sie zwei Polizisten im Berliner Problemviertel Neukölln begleitete. Im Rahmen des „Volos“ durchläuft sie nun verschiedene ARD-Anstalten und auch das HSB.
Der schönste Beruf der Welt
In Berlin ist sie jetzt gerade mal seit drei Tagen und hat in dieser Zeit auch schon zwei Sachen gedreht. „Neugier, selbstsicheres Auftreten und gute Recherchefähigkeiten sollte man mitbringen“, sagt sie. Und warum sie Journalistin werden wollte? „Das ist der schönste Beruf der Welt, weil es der vielfältigste ist.“
Aufnahmeleiter
Koordiniert wird das Zusammenspiel zwischen Redaktion und Produktion von Aufnahmeleitern wie Holger Sonnen. „Wenn die Redaktion zu mir kommt und sagt, sie braucht ein Team, ist es an mir zu sehen, welches frei ist“, erklärt der 34-Jährige. Oft müsse das sehr schnell gehen. „Bis 14 Uhr war es ein ganz normaler Tag, an dem Horst Köhler zurückgetreten ist“, sagt er. Die Aufnahmeleiter wachen aber nicht nur über die Einsatzpläne der Teams, sondern sind gleichzeitig Disponenten. „Das ist im HSB etwas Besonderes“, sagt Holger. Dabei müssen sie auch die für die Berichterstattung zur Verfügung stehenden Budgets im Auge behalten. Sein Berufsziel sei ursprünglich gar nicht Aufnahmeleiter gewesen. „Ich habe in Köln studiert – Medizin-Ökonomie. Und währenddessen habe ich schon in der Printrecherche beim WDR gearbeitet. Ein Redakteur hat mich dann letztendlich in Richtung Aufnahmeleitung geschubst und gemeint, das wäre doch was für mich“, erzählt Holger.
Sein Studium beendete er nicht, sondern absolvierte ein Volontariat zum Aufnahmeleiter bei der Ausbildungsgemeinschaft für Medienberufe (AGM), einem Zusammenschluss von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Seit 1,5 Jahren ist er nun im ARD-Hauptstadtstudio beschäftigt.
Breites Kreuz
Die besondere Herausforderung seines Jobs: „Ich bin Bremser und Treiber gleichzeitig. Ob Wahlsendungen, Staatsbesuche oder Studioaufnahmen – überall sind wir mit zum Teil sehr großen Teams dabei. Da kommen dann auch Freie Mitarbeiter dazu, die ebenfalls koordiniert werden müssen. Wenn wir unser mobiles Studio aufbauen, sind das schnell mal 800 Leute. Aber die Kosten muss ich immer im Blick haben, also auch nein sagen. Da braucht man schon manchmal ein breites Kreuz.“ Holger Sonnen lobt das professionelle Umfeld im ARD-Hauptstadtstudio: „Es ist kreativ und unglaublich produktiv. Da macht es dann auch wirklich Spaß!“
Infos
Ausbildung und Praktika in den Medienberufen des ARD-Hauptstadtstudios findet in den jeweiligen Landesrundfunkanstalten statt. Weiterführende Infos gibt es im Internet unter www.ard-hauptstadtstudio.de/praktika100.html
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